Werner Soltermann
Wegen eines Defektes am Fahrgestell musste eine Vickers Viking der Balair am 3.
September 1960 auf dem Flughafen Basel-Mulhouse notlanden. Dank der bravourösen
Leistung der Besatzung blieben alle Personen an Bord unverletzt – und die Viking flog
kurz darauf wieder.
Wie jeden Samstag in jenem Sommer, waren auch am 3. September 1960 die beiden
Vickers Viking 1B HB-AAN und HB-AAR der Balair auf der Strecke von Basel-Mulhouse
nach Southend-on-Sea im Einsatz. Pünktlich um 8.30 Uhr startete die erste Maschine,
wenige Minuten später die zweite. Nach einer rund dreistündigen Flugzeit erreichten sie
den Bestimmungs-Flughafen an der Themsemündung, um dort wiederum britische Touristen aufzunehmen. Die Startzeit für den Rückflug nach Basel-Mulhouse war ebenfalls,
wie gewohnt, für kurz nach Mittag vorgesehen.
Fahrwerk nicht verriegelt
Während die HB-AAR kurz vor 15 Uhr pünktlich in „Blotze“ aufsetzte, mussten Flugkapitän Hendik Benninga und sein Copilot Willy Sägesser Minuten vor der Landung feststellen, dass sich das rechte Hauptfahrwerk nicht im ausgefahrenen Zustand verriegeln liess und auch nicht wieder komplett eingezogen werden konnte. Nach mehreren erfolglosen Versuchen wurde der Kontrollturm des Flughafens Basel-Mulhouse sowie das Operation Office der Balair über den Defekt informiert. Umgehend wurde von der Airline technisches Personal und die Direktion aufgeboten. Mit der ebenfalls der Balair gehörenden Cessna 170 HB-COM startete der legendäre Balair-Flugkapitän Rupert Vogel sowie der lizenzierte Chefmechaniker der Balair in Richtung der kreisenden Maschine, um zu versuchen, sich ein genaueres Bild von der Situation zu verschaffen. Die Viking flog dabei so langsam wie möglich, damit ihr die kleine Cessna 170 folgen konnte. Hildy Schürpf, die Hostess an Bord der HB-MN, hatte zwischenzeitlich auch die 25 Passagiere an Bord über die Ausnahmesituation informiert und beruhigt.
Vorbereitung für eine Notlandung
Da die Maschine über noch zuviel Treibstoff verfügte, wurde die Cockpitbesatzung angewiesen, während den nächsten rund eineinhalb Stunden über dem Südwesten des Flughafens Kreise zu fliegen, so dass bei einer vorgesehenen Notlandung die Gefahr eines Brandes wesentlich verringert würde. In der Zwischenzeit trafen auch Flughafendirektor Theodor Stauffer und Commandant André Roques am Ort des Geschehens ein, um in Zusammenarbeit mit der Flughafenfeuerwehr, dem Sanitätsdienst der Stadt:
Basel und der Balair-Geschäftsleitung alles Notwendige für eine Notlandung vorzubereiten. Um 16.15 Uhr war alles bereit, drei Krankenwagen mit Ärzten sowie die Flughafenfeuerwehr warteten am Pistenkreuz. Um eine schnelle Rettung zu garantieren, wurde zudem die Zollfreistrasse nach Basel von der Polizei gesperrt.
Stillstand nach 200 Metern
Rund eine Viertelstunde später führte die HB-AAN einen normalen Anflug aus und setzte zur Landung auf der Ost/West-Querpiste 08/26 an. Das rechte Fahrgestell hing halb 14 aus dem Motor heraus, während das linke eingezogen blieb. Mit rund 140 km/h setzte die Viking schliesslich kreischend auf der Betonpiste auf und kam nach rund 200 Metern zum Stillstand. Nachdem die Maschine zu stehen kam, warf Hostess Hildy Schürpf, zwar etwas geschockt, jedoch vorschriftgemäss, die Kabinentüre ab, und alle Passagiere verliessen in «britischer Gelassenheit» das Flugzeug. Viele von ihnen machten noch schnell ein Erinnerungsphoto und spendeten der Besatzung für die geglückte Notlandung spontanen Applaus. Laut der «National Zeitung» hatten sich alle Passagiere rasch wieder erholt. Eine betagte Dame sagte, als man ihr zur Erfrischung einen Tee anbieten wollte: «No thank you! A big, big Cognac, please.» Und sie soll diesen auch erhalten haben…
Als die Besatzung und die Passagiere mit einem Bus beim damals noch provisorischen Abfertigungsgebäude an den Hunderten von Zuschauern vorbeifuhren, wurden sie mit grossem Beifall begrüsst. Noch vor der Weiterreise zu ihren Ferienorten wurden alle Passagiere von Balair-Verwaltungsratspräsident Felix Emmanuel Iselin zu einer Stadtrundfahrt durch Basel und einem Nachtessen eingeladen. Ohne gebraucht zu werden, konnten auch die Krankenwagen wieder zum Kantonsspital Basel zurückkehren.
Umgehende Reparatur
Die HB-AAN wurde gegen Abend von zwei Kranwagen der Basler Musfeld AG sowie den inzwischen eingetroffenen Mechanikern der Balair angehoben und normal aufgebockt. Das linke Fahrwerk wurde ausgefahren, das rechte nach mehreren Versuchen provisorisch im ausgefahrenen Zustand blockiert. Kurz vor dem Eindunkeln konnte das Flugzeug in den Hangar geschleppt werden.
In der folgenden Woche wurde die HB-AAN auf dem Flughafen Basel Mulhouse provisorisch repariert, wobei beschädigte Spanten und Stringer an der Rumpfunterseite ersetzt oder verstärkt wurden. Die beschädigte Beplankung wurde entfernt und an den offenen Stellen mit Bespannungsstoff abgedeckt und mit Spannlack fixiert. Das komplette Fahrwerk wurde ebenfalls in Ordnung gebracht, die Kurbelwellen auf Schlag kontrolliert und beide Propeller ersetzt. Nach mehreren Standläufen und einem Werkstattflug wurde die Viking zur definitiven Rumpfreparatur, nach etwa zehn Tagen, nach Grossbritannien zur Hunting-Clan Air Services in Southend-on-Sea überflogen, also genau dorthin, wo das ungeplante Abenteuer begonnen hatte.
Bis 1968 im Einsatz
Die Balair setzte die Maschine anschliessend bis Ende 1962 weiter ein. Im Februar 1963 verkaufte sie die Viking, zusammen mit der HB-AAR, an die britische Air Ferry, wo sie fast weitere sechs Jahre im Einsatz blieb. Auch 60 Jahre später muss nochmals die Professionalität der gesamten Besatzung erwähnt werden, welche bei dieser perfekten und sanften Bauchlandung zeigte, wie gut sie ihr «Handwerk» verstand.