Wer würde sich nicht die Augen reiben, wenn vor einer A310 ein riesiger roter Stuhl stünde? Die Balair machte dieses Erlebnis möglich, im Herbst 1987. Und das kam so:
An einer berüchtigten Montag-Morgensitzungen bekam ich, damals Stationsleiter Basel, eine Briefanfrage zur Erledigung: Werbeaufnahmen vor unserer A310. Ein Hersteller von Mittel- und Hochformat Präzisions-Kameras, SINA, war am produzieren eines Jahreskalenders 1988. Um die Qualität mit ebendieser Kamera gemachten Bilder zu unterstreichen, mussten sie auf einer vermeintlich optischen Täuschung beruhen, sodass der Betrachter nicht wissen konnte, ob die Aufnahmen nun montiert seien oder nicht. Ein Beispiel seines künstlerischen Schaffens hatte er mir zum Studium überlassen: Da stand ein ein roter Holzstuhl in der Landschaft, und ein kleines, kletterseilbewehrtes Bergsteigerchen kraxelte an der Stuhllehne hinauf. Vermutlich aufgrund der Farbe dieses Stuhls, die dem Balair-Rot sehr nahe kam, wurden wir angefragt, ob dieses Objekt vor einem Flugzeug fotografiert werden könne, am besten bei vollem Flugverkehr. Die Balair fand das eine gute Idee, und so kam ich zu einer kleinen Sonderaufgabe bis zum kommenden Sonntag: die Sache sollte auf dem EuroAirport am Morgen in der Rotation ZRH-BSL-PMI vv ablaufen, und selbstverständlich ohne Verspätung (50 Minuten Ground Time, was an sich schon kein Luxus war). Ich hatte schon einfachere Aufgaben.
Nach umfangreichen Abklärungen, Planungsarbeiten und Briefings, und natürlich dem Einholen von gefühlt Hunderten von Spezialbewilligungen – letzteres war ein grösseres Ding – begann die physische Arbeit am Samstag Nachmittag. Die Einzelteile trafen auf Tieflaster ein, gefolgt von einem grossen Pneukran. Der Stuhl entpuppte sich als 2 Tonnen schweres Monstrum, achteinhalb Meter hoch… Nachdem die Position präzise und mit den nötigen Sicherheitsabständen ausgemessen war, wurde der Stuhl dort zusammengesetzt und dann über Nacht mitten auf dem Tarmac belassen – ein göttliches Bild!
In der Nacht auf den Sonntag träumte ich von zusammengebrochenen Stühlen, die mit der IPK kollidierten etc., und am Sonntag Morgen war ich dann auch nicht mehr der ruhigste Mensch auf Erden.
Der drohende ATC-Streik war für dieses Wochenende abgeblasen, das Wetter schön und die eigens aus Zürich gelieferte A310-Schleppstange nach längerer Odyssee doch noch bei uns eingetroffen. Die Voraussetzungen waren nicht schlecht. Der Fotograf, Otto Kasper, erschien mit seinem Team, unzähligen Kameras und Stativen sowie etwa 20 adretten Komparsen, zu denen sich später auch noch meine Frau gesellen sollte.
Die HB-IPK landete pünktlich aus Zürich und wurde mit dem Follow-me sorgfältig neben den Stuhl gelotst. Die Transitpassagiere an Bord konnten staunend mitverfolgen, wie über eine Flugzeugtreppe die Komparsen den Stuhl bestiegen und die Szenerie fotografiert wurde. Diese Aktion durfte nicht länger als 25 Minuten dauern, dann musste der Stuhl wieder abgebaut werden. Damals wurden die Flugzeuge nämlich noch nicht nose-in parkiert und verliessen den Standplatz mit eigener Kraft wieder. Der Stuhl wäre für das Wegrollen der Maschine also ziemlich im Weg gewesen – deshalb hatte ich vorsichtshalber eine passende Schleppstange organisiert.
Als alle Statisten den Stuhl betreten hatten – alle mit einer Zeitung unter dem Arm – hub ein immenses Fotografieren an. Der Fotograf wurde immer euphorischer, ich aber immer nervöser, denn die nahende Abflugzeit hängte wie ein Damoklesschwert über mir. Die Abfertigungsarbeiten aan der Maschine liefen auf Hochtouren, und während die zusteigenden Paxen sich bereits auf der einzigen Treppe drängelten, nahm der Fotograf das schwarze Tuch vom Apparat und sagte, so, es ist alles im Kasten.
Nochmals kam organisierte Hektik auf, als die Passagiere boardeten. Nun wurde mit dem Pneukran die Stuhllehne als Ganzes demontiert und anschliessend der sonst noch vollständige Stuhl mit mehreren Tragegurten angehoben und sehr sorgfältig zur Seite gebracht. Und wer sonst nichts zu tun hatte, half dabei an den vier Stuhlbeinen, das Objekt weg vom Flugzeug zu drücken.
Und siehe da: der Flug war pünktlich zur geplanten Zeit Off-Chocks. Mission accomplished – uff! Während sich alle Beteiligten erlöst auf die Schultern klopften und die schweissnassen Stirnen trockneten, wurde der Stuhl auf einem Nebenplatz demontiert und wieder weggeführt. Mir war da deutlich wohler! Und die Schleppstange konnte unverrichteter Dinge wieder zurück nach ZRH geschickt werden.
Am nächsten Tag flatterte eine Rechnung des Flughafens auf den Tisch: Parking-Gebühren für eine A310 vom Samstag Nachmittag bis Sonntag Mittag… Es bedurfte dann eines Machtwortes des Flughafen-Chefs und ehemaligen Balair-Frachtchefs, Paul A. Rhinow, die Rechnung wieder zu stornieren.
Ansonsten: Ein Danke der Balair? Fehlanzeige!
3 Antworten auf „Stuhl vor HB-IPK“
Wow, Robi … spannender und humorvoller kann niemand schreiben. Das muss man erlebt haben. Herzlichen Dank für deinen Bericht.
Die Geschichte vom Stuhl- Transport hat bei mir die Erinnerung am meine beste freundin gebracht. Sie ist die Tochter des Erfinders und Besitzer der Sinar-Kamera. Die Familie habe ich bestens gekannt, leider ist Charly Koch schon lange verstorben, aber mit meiner Freundin bin ich noch in engem Kontakt, sie ist auch die Patin meiner Tochter. Diese geschichte habe ich natürlich mitbekommen und sogar den Kalender geschenkt bekommen.
Liebe Heidi, liebe Rosmarie, das war wirklich eine einmalige Story, nicht ganz einfach zu bewerkstelligen, aber doch toll zu realisieren. Das Team der Werbeagentur war unglaublich flexibel und effizient, sonst hätte das nie geklappt.
Nachdem ich kürzlich die Werbeagentur ausfindig machen konnte – dank SINAR – war das Team sofort Feuer und Flamme, und der Chef, Otto Kasper, erinnerte sich sogar noch an mich. Sie stiegen in ihr Archiv und digitalisierten ein paar der Fotos – hier oben zu sehen! Die S/W-Bilder stammen noch von mir.
Memories!